„Dobryy Ranok“ heißt „Guten Morgen“

Wie Menschen aus der Ukraine in Ursberg deutsch lernen

 

Datum: 20. Mai 2022, 8:11 Uhr
Seit Mitte März wird im Vereinsheim in Ursberg Deutsch gelernt. Über die Besonderheiten der deutschen Sprache darf mit den Lehrkräften Hildegard Burtscher (3. v. l.) und Paula Gärtner (r.) auch mal herzlich gelacht werden.

Ursberg / 18. Mai 2022 – Zweisprachiges Stimmengewirr begrüßt den Besucher, sobald er am Unterrichtstag durch die Tür zum Vereinsheim des Dominikus-Ringeisen-Werks (DRW) mitten in Ursberg tritt. Hier treffen sich zweimal pro Woche die aus der umkämpften Ukraine geflüchteten Gäste des DRW mit einer ganzen Reihe ehrenamtlicher Helfer, um in einer buntgemischten Gruppe die deutsche Sprache zu erlernen. Eine herzliche Begrüßung von beiden Seiten und ein fragender Blick der Kursleiter in die Runde: Wer ist da? Wer hat sein Kommen angekündigt und wer ist vielleicht gar nicht mehr erschienen?

Das DRW in Ursberg ist eine Erstaufnahmeeinrichtung. Das bedeutet, dass Geflüchtete von hier aus auf verfügbaren Wohnraum im Landkreis Günzburg verteilt werden. So erfreulich das auf der einen Seite ist, so bedeutet es doch für die Geflüchteten ein erneutes schmerzhaftes Abschiednehmen von ersten Kontaktpersonen und neu gewonnenen Bekanntschaften. Aber es gibt auch andere Gründe, dem Kurs fernzubleiben. Olga zum Beispiel ist aufgrund von Kreislaufproblemen zur Beobachtung ins Krankenhaus eingewiesen worden und Sergej hat bereits seine Arbeit in der Klostergärtnerei Ursberg aufgenommen. Der 12-jährige Juri sitzt dagegen schon an seinem Platz und geht die Arbeitsblätter der letzten Stunde durch; mit ihm am Tisch Oma Natalie und Tante Viktoria. Die beiden 60 und 64 Jahre alten Frauen haben bereits Teilzeitarbeitsstellen in den Gartenanlagen des Mutterhauses der St. Josefskongregation angetreten und sind sehr bestrebt, sich möglichst schnell in die deutsche Sprache einzulernen. Juris Cousin, der 14-jährige Alexander, ist heute ebenfalls nicht dabei. Er ist lieber auf seinem Zimmer geblieben. Zu sehr plagt ihn das Heimweh und die Sehnsucht nach seinen Freunden.

Bis zu 21 Teilnehmende

Am Tisch nebenan haben sich inzwischen Irina und Tamara niedergelassen und es sieht so aus, als würde es heute bei diesen fünf Teilnehmern bleiben. In vergangenen Unterrichtsstunden waren es schon einmal 21 Teilnehmer. So kommen die Lernwilligen heute beinahe in den Luxus einer Eins zu Eins Betreuung durch die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer. Die sitzen mit an den beiden Tischen und begleiten intensiv was Kursleiter Hans Obeser für diese Stunde geplant hat.

Der Kurs selbst wurde von Johanna Herold und Fridolin Kerler von der VHS Krumbach organisiert und stützt sich auf das in Thannhausen entstandene und sehr alltagspraktische Lehrwerk „Thannhauser Modell“. Das Konzept: der Erwerb einfacher deutscher Sprachkenntnisse mit dem Schwerpunkt auf mündlicher Kommunikation und ohne tiefschürfende Grammatik. Es ermöglicht den Schülern, bereits nach wenigen Unterrichtsstunden mit einem alltagstauglichen Grundwortschatz kommunizieren zu können. „Mir geht es gut“, antwortet Irina auf Hans Obesers Frage nach ihrem Befinden. Und so erfährt man auch, dass die 24-Jährige vier Brüder und eine Schwester hat, dass nur ihr Bruder Sergej mit ihr nach Deutschland gekommen ist und die anderen Geschwister bei den Eltern geblieben sind. Es macht nichts, dass die ehrenamtliche Kursbegleiterin Hildegard Burtscher mehrmals Satzstellung und Präpositionen verbessern muss. Irina ist bestrebt, sich zu verbessern und glücklich, dass sie verstanden wird.

Zahlen, Farben, Wochentage

Hans Obeser hat inzwischen die heutigen Kursinhalte mittels Projektor auf eine Leinwand geworfen: Wochentage, Farben, Zahlen und Uhrzeit sind die Themen des Tages – unverzichtbarer Wortschatz in fast jedem Alltagsgespräch. Im Chor wird nachgesprochen was der Kursleiter vorgibt: „Heute ist Donnerstag, morgen ist Freitag, übermorgen ist Samstag.“ Alle schauen in ihr Kursgeheft, um sich der korrekten Reihenfolge der Wochentage zu vergewissern. Dann gibt es etwas Stirnrunzeln als Hans Obeser fortfährt: „Gestern war Mittwoch, vorgestern war….?“ Juri hat am Schnellsten gemerkt, dass es nun Rückwärts geht. „Vorgestern ist Dienstag“, ruft er strahlend. „Vorgestern war Dienstag“, berichtigt ihn Paula Gärtner. Sie ist Lehrerin am Ringeisen-Gymnasium in Ursberg. Auch Hildegard Burtscher und Hans Obeser haben viele Jahre dort unterrichtet und sind genau wie Obesers Frau Maria, ebenfalls pensionierte Lehrerin, mittlerweile im Ruhestand. Sie alle haben sich spontan bereit erklärt, ehrenamtlich bei diesem besonderen Projekt mitzuarbeiten.

Trotz Heimweh eine große Lernbereitschaft

Paula Gärtner ist voll des Lobes über die sehr engagierten und strebsamen Schülerinnen. Erst vor einigen Tagen habe sie Natalie und Viktoria getroffen, wo sie erzählten, gemeinsam drei Stunden Deutsch in der Freizeit gelernt zu haben. Hans Obeser gelingt an diesem Morgen immer wieder das Kunststück, die Aufmerksamkeit sowohl von Kursteilnehmerinnen als auch Lehrkräften weg von der vertiefenden Einzelarbeit am Tisch und hin zu einem neuen Lehrinhalt für alle zu lenken. So auch jetzt, wo das Thema „Farben“ auf dem Programm steht. Dazu gibt es Aufgaben im Heft.  Blau, Gelb, Rot, Rosa, Orange oder Grün steht da in kleinen Kästchen gedruckt und die Lernenden dürfen die Kästchen entsprechend ausmalen. Schwieriger wird es, als man – entsprechend der Anweisung – Wochentage in einer angegebenen Farbe ausmalen soll. Die Köpfe scheinen zu rauchen, die Konzentration lässt nach und langsam kommt die Stunde zu einem Ende. Penibel und diszipliniert verstauen Juri, Natalie und Viktoria ihre Unterrichtsmaterialien und verabschieden sich.

Erinnerungen an Lemberg

Irina erzählt in bereits ganz passablen Sätzen, wie ihr die Arbeit mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des evakuierten Kinderheimes gefällt. Auch Tamara verabschiedet sich von Maria Obeser, die ihr während der Stunde pädagogisch zur Seite gestanden hat. Tamara wirkt bedrückt. Etwas später sieht man sie bei einem Kaffee vor dem Bistro in Ursberg sitzen. Mühsam unterdrückt sie die Tränen, als sie am Handy Bilder des nächtlichen Lemberg, ihrer Heimatstadt, zeigt. Lebendig, hell erleuchtet und mit einem prächtig glitzernden Weihnachtsbaum. Da war noch kein Krieg. Tamara möchte nach Hause. Zu ihrem Mann und ihrem Sohn. Es geht nicht; zu unsicher ist die Lage und sie will ja auch arbeiten hier, um wenigstens Geld nach Hause schicken zu können. Dafür kommt sie jeden Montag und Donnerstag ins Ursberger Vereinsheim und lernt Deutsch.

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